Zur Sache, Chérie by Wurst Alain-Xavier

Zur Sache, Chérie by Wurst Alain-Xavier

Autor:Wurst, Alain-Xavier [Wurst, Alain-Xavier]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Sachbücher/Politik, Gesellschaft, Wirtschaft/Gesellschaft
Herausgeber: Rowohlt E-Book
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00


Esther

Esther war aus Nürnberg, lebte aber in Berlin. Sie hatte lange rotblonde Haare – venezianisches Blond, wie man auf Französisch sagt –, ihre Augen waren braungrün, und einige Sommersprossen schmückten ihre Nase. Sommersprossen fand ich immer attraktiv, genauso wie Linksschreiberinnen. Warum, kann ich überhaupt nicht sagen. Als ich sie zum ersten Mal sah, trug sie schwarze stylische Pumps, eine Jeans, einen dünnen schwarzen Pullover mit V-Ausschnitt und eine taillierte braune Lederjacke. Von der Größe her waren wir fast auf Augenhöhe. Ein Gefühl, das mir sehr gefiel. Eine betörend schöne Frau. Ich hatte sie umgehend in die Kategorie «ja – sofort» eingestuft, auch wenn ihr Stil ein bisschen zu gewollt und sophisticated und nicht genug vintage für meinen Geschmack war. Ein Münchner Verständnis der Mode, würde ich sagen.

Wir haben uns im Flugzeug von Paris nach Berlin kennengelernt. Wir saßen nebeneinander. Sie las Romeo und Julia von Shakespeare in einer zweisprachigen Version. Diese Tatsache überraschte mich – sie passte so gar nicht zu dem Bild, das ich mir von ihr in den knapp sechs Sekunden gemacht hatte.

«Exzellente Lektüre. Aber trauriges Ende», sagte ich, als ich über ihre Schulter ins Buch reinschaute. Sie drehte die Augen in meine Richtung.

«Danke, dass Sie mich warnen.» Ihre Stimme klang ruhig und gelassen. Was für eine perfekte Vorleserin sie wäre, dachte ich.

«Gern geschehen. Ich habe auch Taschentücher, falls Ihnen die Geschichte zu schmerzhaft wird.»

«Sehr fürsorglich von Ihnen», lächelte sie und kehrte zurück zu ihrem Buch.

Sie antwortete mit Ironie, sie war überschön, und man lebt nur einmal: Drei gute Gründe, dass ich mich weiter mit ihr unterhielt.

«Lesen Sie zuerst das Englische und dann das Deutsche oder umgekehrt?»

«Kommt drauf an. Ich springe hin und her.»

«Sind Sie etwa zweisprachig?»

«Leider nein.»

«Und wenn Sie ins Kino gehen, schauen Sie nur Filme im Original?»

«Wenn möglich, immer.»

Alles sprach für sie. Wenn es so weiterging, hatte ich an meiner Seite meine Traumfrau, obwohl ich eigentlich auf Brünette stehe. Es kommt immer anders im Leben, als man denkt.

«Waren Sie übers Wochenende in Paris?»

So begann die Geschichte. Sie erzählte, dass sie als Kuratorin arbeitete und dass sie eine Agentur für Art Consulting gegründet hatte. Sie schien damit erfolgreich zu sein und war deshalb zwischen München, Hamburg und Berlin ständig unterwegs, aber auch im Ausland. Sie hatte auch jahrelang in Italien gelebt. Wir diskutierten während der gesamten Flugdauer. Am Flughafen mussten wir uns trennen. Ich wollte sie unbedingt wiedersehen. Man muss die Gunst der Stunden nutzen, sonst landet man auf irgendeinem Internet-Forum mit «Hey, wir haben uns im Flugzeug gesehen, leider habe ich es nicht gewagt, deine Telefonnummer zu erfragen, Lust auf einen Kaffee?», was an Peinlichkeit nicht zu überbieten ist. Man tut’s einfach – oder nie.

«Ich muss Ihnen die Wahrheit sagen. Wenn Sie mir ihre Handynummer geben, rufe ich Sie an», sagte ich.

«Okay», lachte sie. Sie gab mir die Nummer.

«Ist das die richtige oder die falsche?»

«Die richtige.»

Sie ist wirklich perfekt, dachte ich. Die meisten Frauen beschreiben sich als humorvoll, beweisen aber fast immer das Gegenteil. Meine venezianische Blondine hatte Humor und beherrschte dieses spielerische Element, das ich so oft bei deutschen Frauen vermisse.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.